„Ayurveda: Die Kunst des langen Lebens“. Das klingt wie geschaffen für meine reduzierte Lebenserwartung. Gerade heute kommt ein weltweit geachteter Guru für Ayurveda in unsere Stadt: Shri Balaji Tambe. Da muss ich hin! Der Andrang ist riesig, zum Glück habe ich reserviert.
Shri Balaji Tambe ist ein sympathisch lächelnder älterer Herr, und Beifall ist ihm sicher: Um lange zu leben, müsse man sich um vier Bereiche kümmern: die körperliche und die psychische Gesundheit (Zufriedenheit), die Verbundenheit mit anderen Menschen (Freundeskreis, Familie) sowie die eigene Kreativität. Dafür müsse man zuallererst seinen Lebensstil ändern: gesünder essen, abnehmen, weniger Reizüberflutung und Stress und seine Begierden in Zaum halten. Tambe erwähnt vor allem die Gier nach Geld und kritisiert westliche Ärzte: Reichtum durch medizinische Behandlungen sei vergiftet, denn er beruhe auf dem Leiden der Patienten. Da fallen mir seine Hände auf: An jedem Finger ein Klunker...
Die ayurvedische Heilkunde aus Südindien wurde über mehrere Jahrtausende überliefert. In ihrem Mittelpunkt steht die Theorie, nach der jede körperliche oder geistige Krankheit Folge eines Ungleichgewichts körpereigener Energien ist. Ziel des Ayurveda ist es, das körperliche und geistige Gleichgewicht wieder herzustellen. Die Diagnostik lernt der ayurvedische Arzt von einem Guru – sie entzieht sich deshalb rationaler Logik: Mittels Tasten an der Hand wird das Verhältnis zwischen drei energetischen Regelsystemen „gemessen“: Luft, Feuer und Wasser, die sog. „Doshas“. Andererseits wird aus dem Horoskop des Patienten abgeleitet, wie dieses Verhältnis sein sollte. Also Astrologie! Mir wird leicht übel.
Zum Ayurveda gehören Bäder, Massagen und Yoga – alles Dinge, die man sicherlich gefahrlos genießen kann. Aber Ayurveda ist nicht das, was die Wellness-Bewegung hier zu Lande verkauft. Dazu gehören z.B. auch Medikamente: Traditionelle Mischungen aus Kräutern, Mineralien und Metallen. So werden hochgiftiges Quecksilber, Arsen und Blei durch simples Vermischen mit z.B. Buttermilch zu angeblich heilsamen Medikamenten (Süddeutsche Zeitung, 17.05.2010). Der Mensch hält einiges aus, aber 80 Fälle von Bleivergiftungen als Folge von Ayurveda-Medikamenten sind dokumentiert (Ärzteblatt, 27.08.2008).
Tambe ist Leiter der größten ayurvedischen Klinik Indiens, wo (so sah es zumindest die Volkshochschule in ihrer Einladung) chronische Krankheiten „erfolgreich behandelt werden“. Im Internet (URL leider nicht mehr aktiv) fand ich einen authentischen Kurbericht: Jemand machte dort eine zweiwöchige Kur für 1.200 Euro plus Flug. Er stellte fest, dass die Klinik eigentlich ein Ashram (klosterähnliches Meditationszentrum) sei, das die Klinik als Einkunftsquelle betreibe. Pro Tag erhielt man nach festem Schema eine Anwendung (z.B. Massage), die Meditation kam oft vom Tonband. Wer mag, kann nach dem Frühstück ein „Stamperl“ Kuh-Urin zu sich nehmen. Auch wenn Heilsversprechen nicht erfüllt würden: Wegen des besonderen Essens nahmen alle ab – sogar die, die vorher schon Untergewicht hatten.
Aus Neugierde wird also Enttäuschung, und ich ziehe meine persönlichen Schlüsse: Yoga-Übungen und Ayurveda-Massagen kann man machen. Aber Ayurveda als Heilslehre gehört in den indischen Kulturkreis und ist nichts für Mukoviszidose-Patienten.
Stephan Kruip (zuerst veröffentlicht in muko.info 4/2009)
Von 2016 bis April 2024 durfte ich im Deutschen Ethikrat mitwirken. Neben der Corna-Pandemie mit all ihren ethisch relevanten Problemen (z.B. Impf-Reihenfolge und besondere Regeln für Geimpfte?) haben wir viele Themen von Genome-Editing (Keimbahntherapie) und Menschenwürde, Arzneimittelpreise, Organspende, assistierter Suizid, Nutzung von Daten aus der Gesundheitsakte für die Forschung, Probleme von Menschen mit seltenen Erkrankungen bis hin zur Klimagerechtigkeit behandelt. Zum Weiterlesen: Infobrief des Deutschen Ethikrats.
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"Das Problem ist, wir suchen jemanden, mit dem wir zusammen alt werden, während das Geheimnis darin besteht, jemanden zu finden, mit dem man ein Kind bleiben kann!"
Charles Bukowski