Von Dr. Martin Hebel
Am 1. Mai 1945 rollten bei stürmischem Wetter mit Schneefell auf dem östlichen Seeufer längs der Herrschinger Straße kurz nach Mittag die ersten Kolonnen amerikanischer Tanks Richtung München nach Oberalting. Sie erhielten vor dem Schloss aus dem Widdersberger Wald kurzes Artilleriefeuer von zurückweichenden SS-Truppen, schossen sich etwa eine halbe Stunde mit den deutschen Truppen herum und rollten dann wieder in Richtung Herrsching zurück, ln Oberalting wurde leichter Schaden angerichtet. Zwei Parlamentäre waren den Kolonnen in Richtung Herrsching entgegengeschickt worden, um Seefeld-Oberalting kampflos zu übergeben. Sie gerieten aber in den Artilleriekampf und mussten sich zurückziehen. Am folgenden Tag waren die Kampfhandlungen auf anderen Wegen bereits bis vor München vorgeschritten und damit praktisch für unsere Gegend die Kriegshandlungen beendet.
Damit war für Hechendorf der furchtbare Krieg vorüber gegangen, ohne dass eine Bombe oder Granate den Ort berührt hatte. Der Vernichtungswahnsinn der Nationalsozialisten hatte zuletzt die Verteidigung jedes Dorfes gefordert, und die Sieger beantworteten jeden Versuch mit der Zerstörung des Ortes. Alle Einrichtungen im Dorf waren sich darüber klar, dass eine Verteidigung von Hechendorf nur sinnlose Opfer gefordert hätte, und so hatten sich die Gegner des Systems mit dem gleichgesinnten Führer der Volkssturmkompanie dahin geeinigt, alle Straßensperren zu beseitigen, die Werwolfverdächtigen und unbesonnenen Elemente zu entwaffnen und eine kampflose Übergabe sicherzustellen.
Zugleich galt es, beim Einzug der Amerikaner politisch unbelastete Vertreter der Gemeinde herauszustellen, die in der Lage waren, die Verhandlungen in einer für den Ort günstigen Form zu führen. Die Vertreter des zusammengebrochenen Systems waren in richtiger Erkenntnis der neuen Lage selbst zurückgetreten, und so vollzog sich die Übernahme der Verwaltung auf dem Wege ruhiger Verständigung. Gedacht war an eine Zurückgabe des Bürgermeisteramtes an Herrn Baur, nach dessen Weigerung wurde Dr. Hebel kommisarisch als provisorischer Bürgermeister aufgestellt. Als vorläufiger Gemeinderat stellten sich 8 bis 10 Bürger zur Verfügung, wie später ausgeführt wird.
Am 3 Mai abends 17 Uhr wurde der Bürgermeister mit einem Gemeindevertreter in die Kanzlei bestellt, um die Übergabe zu vollziehen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte war unser Dorf von Siegertruppen besetzt. Zwei amerikanische Serganten, einer davon ein gut deutsch sprechender Jude, verfassten auf einer mitgebrachten Schreibmaschine das Übergabeprotokoll und bestätigten nach längerer politischer Unterhaltung Dr. Hebel als kommissarischen Bürgermeister. Erste Forderung war Ablieferung sämtlicher Waffen, einschließlich der Jagdgewehre mit Zubehör. Sie sollten im Kellerraum des Hauses Wörl gesammelt und noch am Abend durch amerikanische Soldaten abgeholt werden Die Ablieferung zog sich über den ganzen Tage hin, und die Ortspolizei überwachte die Abgabe, die teils gegen, teils ohne Bestätigung erfolgte und übernahm die Wache, um missbräuchliche Entnahme zu verhindern.
Die rechtzeitige Waffenabholung unterblieb. Dafür hielten durchfahrende Jeeps, und die Soldaten suchten im Keller Jagdgewehre und Revolver heraus, die ihnen gefielen und nahmen sie einzeln mit Patronen wurden geöffnet und das Pulver zerstreut, während gleichzeitig geraucht wurde. Es war ein Glück, dass kein Unfall passierte.
Am 4. Mai rotteten sich die Insassen des Polenlagers und Zuzug aus Nachbarorten in drohender Haltung vor der Gemeindekanzlei zusammen, meist in stark betrunkenem Zustand und machten Anstalten, sich der Waffen zu bemächtigen. Die wenigen mit Armbinden versehenen, aber unbewaffneten Ortspolizisten hielten sich zunächst noch zurück. Da fuhr ein Personenwagen vor, und als die Insassen ihn stehen ließen, um in der Gemeindekanzlei vorzusprechen, drangen Italiener und Polen in den Wagen ein, um ihn wegzunehmen. Es kam zu heftigen Streitszenen mit dem Besitzer, die Italiener schrien und schwangen ihre Messer, und inzwischen drang der Rest in den Keller und alle bewaffneten sich. Um einen aussichtslosen Kampf zu vermeiden, der als Widerstand die Zerstörung des Ortes nach sich ziehen konnte, wurde die Ortspolizei zunächst zurückgezogen und blieb in Beobachtung. Die betrunkenen Ausländer begannen wild in die Luft zu schießen. Im Dorf herrschte panikartiger Schrecken. Das Lichtnetz versagte und der Ort lag in völligem Dunkel.
Der rasch herbeigeeilte Herr Kämmerer Sammer und der Bürgermeister begannen mit den vernünftigen Elementen eindringliche Verhandlungen und erreichten, dass bis nachts 11 Uhr ein großer Teil der Gewehre zurückgegeben wurde und ernstere Tätlichkeiten unterblieben. In dieser Nacht schlief die Bevölkerung meist angezogen und fluchtbereit. Erst mehrere Tage später, als schon die Franzosen eingerückt waren, wurden die Waffen abgeholt. Die Ausländer kamen der Aufforderung zur Rückgabe nur teilweise nach und warfen die Waffen hier und dort hin, so dass die Bevölkerung in Verdacht kam, sie verstecken zu wollen
Am 5. Mai wurde im Ort bekannt, dass französische Maquistruppen in den Ort kommen würden, denen ein schrecklicher Ruf der Disziplinlosigkeit und des fanatischen Hasses vorausging. Brennende Häuser bezeichneten ihren Weg. Am späten Abend verhandelten Quartiermacher im Hause Prinz mit dem Bürgermeister über die Quartiere, insbesondere für den Stab, und am 6. Mai zog die 7. Escadron des 11. Panzerkürassierregiments nach Hechendorf, während Güntering, durch seinen abweichenden Namen geschützt, von der Einquartierung verschont blieb. Die Soldaten wurden von den Quartiermachern in die Häuser verteilt, die deutsche Bevölkerung durfte im Gegensatz zu der Gepflogenheit der Amerikaner mit in den Häusern bleiben.
Dem Stab wurde die Villa Schwedler, die damals fast leer stand, als Quartier zugewiesen. Wenige Tage vorher hatte das Ehepaar Schwedler Selbstmord begangen. Es kam bald zu heftigen Differenzen mit den aus allen Schichten zusammengesetzten weißen und farbigen Truppen, und die Bevölkerung bestürmte den Bürgermeister mit Bitten um Abhilfe.
Am 7. Mai gegen 14 Uhr nachmittags übergab ein französischer Sergant dem Bürgermeister das beiliegende Schreiben des französischen Kommandanten und den ebenfalls beigefügten Befehl (Beilage 1 und 2). Zugleich wurde eine Proklamation der Militärregierung nach Beilage 3 angeschlagen und verteilt. Nach dem Befehl des Militär-Kommandanten sollten binnen einer Stunde sämtliche Waffen, im Ausland erworbenen Sachwerte, Uniformstücke, Radio-Apparate, Schreibmaschinen, Feldstecher, Taschenlampen, optische Geräte, politische Schriften usw. in der Kanzlei abgeliefert werden. Der Bürgermeister musste dies wegen der kurzen Frist als unmöglich erklären und begab sich daraufhin mit dem Serganten erstmals in die Kommandantur, wo er zunächst einen Aufschub bis 5 Uhr abends erreichte. In dieser ersten Aussprache gelang es, ein gewisses Vertrauensverhältnis zum Kommandanten herzustellen, so dass dieser einen täglichen Rapport in der Kommandantur, jeweils um 10 Uhr vormittags ansetzte, in dem die dringendsten Anträge eingebracht werden konnten. Die Befehle mussten wegen der kurzen Zeit durch Ausläuten bekannt gegeben und bis an die äußersten Seeufer des Pilsen- und Wörthsees übermittelt werden.
Dann erfolgte eine kleine Völkerwanderung, da aus jedem Hause mit Rucksäcken, Handkarren und Fahrrädern die abzuliefernden Gegenstände, die in der Eile zusammengerafft worden waren, antransportiert wurden. Auf den umliegenden Wegen stauten sich die Menschen, und im Ablieferungsraum türmten sich die wertvollen Gerate zu Bergen. Die französischen Soldaten nahmen sich, was ihnen gefiel und brachten die Geräte in ihre Quartiere, wo mit Mädchen, selbst jugendlichen Alters, gezecht und Orgien gefeiert wurden.
Die Auffindung ausgelagerter Weinvorräte führte zur Beschlagnahme, und der Alkohol lieferte das Material für die wilden Szenen. Am 8. Mai machte der Kommandant mit seinen Offizieren nach einer Kahnfahrt beim Bürgermeister einen Besuch in dessen Wohnung im Beisein einiger französisch sprechender Einwohner von Hechendorf, und diese Aussprache führte glücklicherweise dazu, das Vertrauensverhältnis wesentlich zu vertiefen, so dass die Offiziere verschiedene unmögliche Ablieferungsforderungen namentlich von der Molkerei ermäßigten und Abhilfe gegenüber den Ausländern zusagten.
Zwei Tage später trat ein schwerer Rückschlag ein, der beinahe zur Vernichtung des Dorfes geführt hätte. Das Böllerpulver war aus Versehen nicht abgeliefert worden und lag von der letzten Beerdigung eines Kriegers her im Leichenwagen, und unbekannte Täter, wahrscheinlich Ausländer, hatten, da die Türe des Feuerhauses nicht verschließbar war, drei bis vier Militärgewehre im Leichenwagen versteckt. Der Kommandant besichtigte mit Offizieren zusammen das Feuerhaus und fand die Gewehre und das Böllerpulver, das er in das Kasino mitnahm. Es war in einer großen Pappschachtel, auf welcher der Firmenname Dynamit-A.G. stand, und so glaubte er, Dynamit vor sich zu haben. Er entzündete einen Teil davon mit einer Zigarette und verursachte eine heftige Explosion, die das halbe Zimmer in Flammen setzte und schwärzte und verbrannte sich dabei das Gesicht so schwer, dass er mit einem Flugzeug abtransportiert werden musste. Die Nachricht von diesem Vorkommnis führte zu einer furchtbaren Erregung unter der Truppe, und es kam zu schweren Drohungen und Ausschreitungen. Der Bürgermeister wurde in die Kanzlei bestellt, und hier wurde ihm die beiliegende Proklamation diktiert (Beilage 4): „Es ist der Behörde bekannt, dass in der Gemeinde noch Waffen vorhanden sind. Gestern wurden an einem öffentlichen Platz (Feuerhaus) Waffen gefunden und eine beträchtliche Menge Explosivstoff von größter Wirksamkeit. Infolge davon wurde eine Liste von ca. 30 Geiseln der Gemeinde aufgestellt, für alle Fälle. Ausgangsverbot für alle Bewohner einschließlich der Bauern nach 18Uhr30. Die Kommandantur nimmt bis heute Abend 18Uhr30 Waffen ohne Sanktion entgegen“.
Es war eine ungeheure Aufgabe, den Beweis zu erbringen, dass das Böllerpulver von der letzten Beerdigung her im Leichenwagen war, harmlosen Zwecken diente, und einfach vergessen worden war. In zahlreichen Aussprachen mit den in den einzelnen Quartieren liegenden Mannschaften gelang es mühselig, die Stimmung wieder etwas zu entspannen und schwere Tätlichkeiten zu vermeiden. Viele wilde Hausdurchsuchungen fanden statt, die Angeberei blühte und stündlich kamen verzweifelte Hilferufe zum Bürgermeister.
In dieser Zeit wurde die Kanzlei überlaufen mit Passanträgen, für die eigene Passierscheine gedruckt wurden (Beilage 5). Die Ausgebombten und in die Vororte geflüchteten Familien wollten nach Schluss der Kampfhandlungen wieder zurück nach München oder in die Umgebung. Täglich wurden 100 bis 200 Passanträge vorgeschrieben, und der Bürgermeister musste sie zum Rapport in die Kommandantur mitnehmen und am folgenden Tag wieder abholen. Der Kommandant unterschrieb ganz willkürlich 60 bis 70 Stück und warf die übrigen wieder weg. Es hagelte Angriffe auf die Kanzlei und den Bürgermeister, wenn manche tagelang warten mussten, andere aber schnell zum Zuge kamen. Es war den Leuten nicht klar zu machen, dass der Bürgermeister nur bitten, aber nicht fordern konnte und von den Launen der Franzosen abhing.
Dann setzten die Bittschriften und Besuche um Rückgabe der abgelieferten Apparate ein, bis zuletzt insgesamt gegen 300 für Radioapparate und 50 für Schreibmaschinen. Sie wurden gesammelt, übersetzt und vorgetragen, aber je nach Laune meist achtlos beiseite geworfen Wo der Bürgermeister sich auf der Straße zeigte, wurde er mit wortreichen Anliegen überhäuft, die hundert Menschengehirne nicht hätten behalten können. Es war eine Belastung zum Zusammenbrechen und keine irgendwie systematische Bearbeitung möglich.. Täglich erfolgten wilde Plünderungen und Raubüberfälle, und nirgends war Schutz gegen die Willkür. So wurde Herr Oberst Schulz an der Seite seiner Tochter auf einem Spaziergang neben der Villa Schröder niedergeschossen.
Am 28. Mai endlich zogen die Franzosen ab, nachdem sie in den letzten Stunden noch besonders übel gehaust hatten. Die Offiziere machten dem Bürgermeister noch einen Abschiedsbesuch und übergaben die Schlüssel des Hauses Schwedler. Ein großes Aufatmen ging durch das Dorf. Aber nun folgte eine schwere Zeit des Interregnums. Damals war jeder Ort froh, wenn er einen amerikanischen Polizeiposten hatte, bei dem Schutz zu erwarten war.
Während die kriegsgefangenen Franzosen ohne weitere Schwierigkeiten noch vor dem Eintreffen der Maquistruppen aus dem Ort abgezogen waren (leider zu früh, denn man hätte sie gerne als Zeugen für eine gute Behandlung hier behalten), erwuchs dem Ort eine besonders drohende Gefahr durch das während der Kriegsjahre von der Reichsbahn und der Firma Steiner errichtete sog. Barakenlager oder Polenlager am Badeweg. Es hatte am Kriegsende folgende Zusammensetzung:
19 Polen, 13 Italiener, 3 Franzosen, 8 Polinnen, 3 Ukrainerinnen, 21 Ukrainer, insgesamt also 67 Personen. Die Belegschaft hatte gehungert und war hart behandelt worden, so dass der Lageraufseher schleunigst verschwinden musste und das Lager ohne Aufsicht war. Die Insassen kamen täglich und fast stündlich zum Bürgermeister mit neuen Forderungen, da sie sich als Herren der Situation fühlten. Sie bekamen Zuzug aus den geleerten Konzentrationslagern. Hauptsächlich Russen und die polnischen und ukrainischen Dienstmädchen der Nachbarorte zogen in die Baracken, wo sich ein wüstes Treiben entwickelte. Überall wurden Fahrräder und sonstige Gegenstände gestohlen, und die Bevölkerung kam wieder zum Bürgermeister, der doch machtlos war und nur vereinzelt mit Hilfe französischer Offiziere wieder das Diebesgut abnehmen konnte. Wie erwähnt, hatten sich die Insassen am 4. Mai mit Waffen versehen, und als die Kommandantur die Ablieferung verlangte, diese Aufforderung teilweise nicht befolgt, oder die Waffen irgendwo versteckt und weggeworfen, um die Bevölkerung in Verdacht zu bringen. Reichsbahn und Firma Steiner kümmerten sich nicht mehr im Geringsten um das Lager, dessen Verpflegung damit in der Luft hing. Mit ihren deutschen Arbeitgebern (Seider, Raab) befreundete Ausländer warnten kurz vor Eintreffen der Franzosen den Bürgermeister, dass ein Aufstand drohe, wenn nicht sofort die geforderten hohen Verpflegungssätze geliefert würden. In zahlreichen Besuchen im Lager und Besprechungen wurden ermäßigte Sätze bewilligt und bei Biesenberger und Dellinger organisiert. Weiter forderten die Lagerinsassen neue Schuhe, Kleider und Mäntel. Sie erklärten: “Jetzt müssen die Hechendorfer Bauern in die Lager, und wir wollen in die Bauerhöfe“.
Bolschewistische Propaganda machte sich bemerkbar. In dieser bedrohlichen Lage bat der Bürgermeister die sprachkundige Frau Baron von Franckenstein um Unterhandlung, und diese erreichte in einer anderthalb Stunden langen sehr geschickten Aussprache mit den Polen, wobei sie an deren Anständigkeit und Ritterlichkeit appellierte, dass die besten Elemente versprachen, im Lager zu bleiben und offene Tätlichkeiten zu unterbinden. Damit war eine ungeheure Gefahr abgewendet, für deren Beseitigung die Gemeinde Frau Baron zu danken hat.
Schon in den ersten Tagen waren auch jüdische Vertreter aus den KZs ins Dorf gekommen und hatten mit Requisitionsscheinen umfangreiche Lebensmittel- und Kleiderablieferungen für die nach Feldafing verbrachten KZ-Insassen verlangt Im Saale Gastl wurden Lastwagen-weise die gegebenen, teilweise noch ganz neuen Sachen aufgestapelt und aus diesen Vorräten wurden auch die Insassen des Polenlagers, soweit sie nicht nachweislich später zugezogen waren, neu ausgestattet und so die Zusage eingelöst, um Plünderungen zu vermeiden.
Nur langsam gelang es, trotz intensivster Bemühungen bei Franzosen und Amerikanern, Abtransporte aus dem Lager zu erreichen, aber immer wieder kamen viel schlimmere Häftlinge und DPs aus allen Richtungen nach und von allen Seiten wurde der Bürgermeister um Hilfe angegangen, die er teilweise in Steinebach, Breitbrunn, Herrsching und Seefeld bei den ständig wechselnden Militärposten suchen musste.
Erst Ende Juni gelang die Leerung des Lagers und sofort nach dem Abtransport des letzten Mannes brachen Beauftragte der Gemeinde die Baracken so weit ab, dass sie nicht mehr beziehbar waren und dann erst wurden sie von der Bahnmeisterei Herrsching völlig abgebaut. Aber etwa zwei Jahre hat es gedauert, bis die Firma Steiner auf Drohungen hin der Gemeinde einen Teil der Schäden durch Bezahlung der geforderten Summe ersetzte.
Mit der bedingungslosen Kapitulation war in Deutschland die Selbstverwaltung aufgehoben, die Regierungsgewalt auf die Besatzungsmacht übergegangen. Das Dritte Reich hatte zwölf Millionen ausländische Verschleppte nach Deutschland arbeitsverpflichtet, die im Falle einer Anarchie eine ungeheure Gefahr gebildet hätten. Auch in unserem Dorf bestand diese Gefahr, und so musste zunächst danach getrachtet werden, einen legalen Zustand zu schaffen, um gegenüber den zahlreichen Raubüberfallen und gegen die vielen Ausländer im Dorf und sonstige dunklen Elemente einen Schutz für die friedliche Bevölkerung zu schaffen. Es war klar, dass Parteiangehörige von der Besatzungsmacht abgelehnt worden waren und eine üble Aufnahme gefunden hätten, und dass das Dorf dies hätte entgelten müssen. Die bisherigen leitenden Persönlichkeiten der Gemeindeverwaltung und der Parteiorganisationen zogen selbst die Konsequenzen und traten zurück. Die neuen Vertreter der Bürgerschaft wollten damit einen legalen Zustand schaffen, dass die Verhältnisse vor der gewaltsamen Absetzung des Bürgermeisters Baur im März 1933 wieder hergestellt wurden.
So wurde der in der Beilage 6 widergegebene Anschlag verfasst und Herr Baur gebeten, wie bereits vorher im Stillen vereinbart war, sein Amt zu übernehmen. Als er sich weigerte, kam es auf Wunsch der versammelten Vertreter zur Berufung Dr. Hebels zum provisorischen Bürgermeister. Aus Resten des Volkssturmes wurde unter Führung von Herrn Eckl eine Ortspolizei aufgestellt, die allerdings keine Waffen tragen durfte und daher gegen gewaltsame Überfälle ziemlich machtlos war. Daher waren die ersten Wochen nach Ende der Kampfhandlungen sehr unruhig und eine Kette von alarmierenden Ereignissen hielt die Vertreter der Gemeindeverwaltung dauernd in Atem, so dass eine ruhige Arbeit erst allmählich einsetzen konnte.
Der Bürgermeister Dr. Hebel, von den Amerikanern als kommissarischer Bürgermeister bestätigt, berief zunächst unbelastete Mitarbeiter und setzte den ersten Gemeinderat wie folgt zusammen, unter Aufteilung der Arbeitsgebiete:
Durch Bekanntmachung am 1. Juni 1945 wurde die Bevölkerung davon in Kenntnis gesetzt. Im Gegensatz zur späteren Entnazifizierung wurde bei dem Begriff „belastet“ nur auf Gesinnung und Haltung, und nicht die formelle Zugehörigkeit zu Naziorganisationen gesehen. Im Dorf kannte man sich und konnte diese Auswahl treffen. Bei der Besatzungsmacht aber setzte sich eine andere Auffassung durch, und es folgte die schematische Beurteilung nach der Parteizugehörigkeit, die in der Folge große Verwirrung angerichtet und großes Unrecht verursacht hat. Bald erfolgten Angriffe gegen verschiedene Mitarbeiter, die formell belastet waren, und so musste schon im Juni eine Neubesetzung vorgenommen werden Gemeinderatssitzungen wurden bereits regelmäßig abgehalten und Protokolle geführt.
Die Rechtsgrundlage der neuen Verwaltung hing zunächst in der Luft, und der Bürgermeister war allein persönlich haftbar. Um wieder die Fühlung mit dem Landratsamt Starnberg aufnehmen zu können, wurde am 10 Mai ein Bote (Herr Landauer) nach Starnberg geschickt, und dieser brachte als erste Richtlinie die beiliegende Niederschrift mit. Der Landrat empfahl also möglichste Selbstverwaltung, suchte die Markenversorgung aufrecht zu erhalten und übersandte schwere Ablieferungsforderungen zu Gunsten der KZ-ler. Wir erfuhren, dass Herr Dr. Dresse als Landrat eingesetzt worden war, und Herr Regierungsrat Sohler, sein Vertreter, die Außengemeinden betreute, also unser nächster Vorgesetzter war. Ein Schreiben an ihn vom 11. Mai 1945 (Beilage 8) kennzeichnet die damalige Lage.
Die Vertreter der Gemeinde, besonders der Bürgermeister hatten alle Hände voll zu tun, den stündlich auf sie einstürmenden Befehlen nachzukommen, den Hilferufen zu folgen und dringendste Notmaßnahmen und Regelungen zu treffen. Erst nach Abzug der französischen Treppen konnten anfangs Juni systematische Arbeiten aufgenommen werden. Auf Befehl der Militärregierung musste das Personal der Gemeindekanzlei völlig erneuert werden und zwar mit sofortiger Wirkung, so dass die Schwierigkeit mit der Neueinlernung und Neuberufung hinzukam. Im Laufe des Juni wurde die zu klein gewordene Gemeindekanzlei in das Schulhaus in Hechendorf verlegt.
Die erste von Landrat Dresse erlassene Bekanntmachung ist als Beilage 9 beigefügt. Am 19. Juni 1945 trat Dr. Neßlauer als zweiter Bürgermeister zurück, und Herr Schölderle wurde an seiner Stelle gerufen (Beilage 10).
Am 4. Juni 1945 kam Landrat Sohler nach Hechendorf und bestätigte Dr. Hebel mit dem in Beilage 11 angefügten Schreiben als kommissarischen Bürgermeister.
Am Montag, den 18. Juni 1945, erschien, gerufen durch einen Bürger, ein Vertreter der amerikanischen CIC, Herr Corn, und verlangte den Rücktritt einiger formell belasteter Gemeinderatsmitglieder und besuchte auch den Bürgermeister, dem er heftige Anschuldigungen vorhielt. Es begann die Zeit der Fragebögen, und des Anschießens der Menschen, die sich für Ordnung und Wiederaufbau eingesetzt hatten. Die sogenannte „Denazification“ bot reichlich Möglichkeit für Intrigen.
Anfangs Juni 1945 konnte die Volksschule mit den beiden ersten Klassen wieder eröffnet werden. Das Schulgebäude war von den Franzosen schwer geplündert worden.
Am 8 Juni 1945 erschien die erste Nummer des Land- und Seeboten als Amtsblatt des Landrates Starnberg, und ab 27. Juni wurden die Bürgermeister dem Militärgouverneur vorgestellt und vereidigt, und versammelten sich alle zwei Wochen zur Entgegennahme der Befehle.
Die Hauptprobleme dieser Zeit waren:
Dazu kamen ab Spätherbst 1945 zwei Probleme von größter Tragwei-te:
Am 6. September 1945 wurde die Erlaubnis zur Errichtung politischer Parteien erteilt. Am 1. September 1945 war Schaeffer zum bayerischen Ministerpräsidenten ernannt worden. Die Amerikaner befahlen Aufbau der Demokratie von unten und Vorbereitung der Gemeindewahlen für das Frühjahr 1946, wobei bezüglich der Parteizugehörigkeit noch strenge Vorschriften bezüglich Zulassung zu berücksichtigen waren.
Am 6. Oktober 1945 erfolgte eine erste Registrierung sämtlicher Einwohner mit Registrierschein mit Foto und Fingerabdruck. Wer ohne Registrierschein aufgegriffen wurde, wurde verhaftet und mehrere Tage eingesperrt. Da die Registrierung in der Militärregierung längere Zeit in Anspruch nahm, wurden viele Personen, die nicht rechtzeitig in den Besitz der Karte kamen, vorher verhaftet.
Vom 5. bis 11. Dezember 1945 musste eine allgemeine Volkszählung durchgeführt werden. Kaum glaubte die Kanzlei eine Arbeit bewältigt zu haben, kam ein neuer Befehl, so dass die frühere Hauptaufgabe, die Ausgabe der Lebensmittelkarten ganz in den Hintergrund trat.
Am 20. Juli 1945 wurde das Amtsgericht Starnberg eröffnet, Dr. Kreß von Kreßenstein feierlich vereidigt. Die Wohnungsfragen bearbeitete neben dem Bürgermeister Herr Dietz, später Herr Waltenberger, Dr. Heilmeier, Dr. Neßlauer, Frau Dedecke und zuletzt der Gemeinderat selbst.
Am 5. Oktober 1945 kam es zwischen Landrat Dr. Dresse und dem Militärgouverneur zu Differenzen wegen der politischen Beurteilung der Kreis- und Gemeindeangestellten, und der Landratsposten wurde durch Herrn von Schwerin neu besetzt. Am 5. Oktober wurde befohlen, alle Personen, die irgendeinmal bei der Partei waren, sofort zu entlassen.
Am 15. Oktober 1945 wurde die Wasserleitung zwischen Anwesen Raab und Bretschneider zu einer Schleife geschlossen.
Am 3. Oktober 1945 erhielt die gemeindliche Feuerwehr, die neu aufgestellt worden war, durch die Firma Rompel-Thoma eine Motorfeuerspritze geschenkt. Die Feuerwehr litt unter Mangel an Schlauchmaterial, der bis heute nicht behoben werden konnte. Die Schläuche waren beim Straßenbau weitgehend beschädigt worden. Die Wasserleitung hatte durch Befahren der Nebenwege mit französischen Tanks schwer gelitten, und viele Hydranten mussten erst wieder freigelegt werden.
Im Januar 1946 fanden die ersten Gemeindewahlen statt, bei denen der CSU 5, der SPD 2 Sitze zufielen. Die Kommunisten und die WAV hatten je 5 Stimmen erhalten. Dr, Hebel wurde als Erster Bürgermeister gewählt, Herr Schölderle zum Zweiten Bürgermeister vom Gemeinderat gewählt.
Dem Gemeinderat gehörten an :
CSU: Oskar Dietz, Anton Saldier, Mathias Wöll, Bernhard Neumüller
SPD: Dr. Werner Gerbes, Josef Westermayr
Am 23. März 1946 fand die erste Kreisratswahl statt. Am 6 Juli 1946 war die Wahl des Landtages Hechendorf war durch Dr. Hebel im Kreisrat vertreten.
Schon im Herbst 1945 begann die millionenweise Ausweisung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei und der Schlesier und Ostpreußen aus den polnischen gewordenen Gebieten. In München waren Flüchtlingskommissariate gebildet worden, und ebenso wurde in jedem Kreis ein Flüchtlingskommissariat errichtet Am 18. Dezember 1945 erfolgte eine genaue Zählung aller noch verfügbarer Räume, geschieden nach großen Zimmern, kleinen Zimmern und Kammern, unterteilt nach gut heizbar, noch heizbar und unheizbar mit Angabe der Ausmaße. Genaue Angaben über den zulässigen Wohnraum ergingen und selbst Bootshäuser, Nebengebäude, Baracken und Wochenendhäuser mussten beschlagnahmt werden. Strohsäcke sollten bereitgestellt werden, doch waren hierfür nicht einmal papierene Sackstoffe erhältlich. Die Gemeinde erhielt dauernd von übergeordneten Stellen Aufträge, aber nie die geringste Zuweisung, weil nichts vorhanden war.
Der Starnberger Wohnungskommissar Brenninger bekannte sich offen als Kommunist und umgab sich mit gleichgesinnten Hilfsarbeitern, die durch ihr rücksichtsloses Vorgehen in schwere Konflikte mit den Gemeinden kamen. Hechendorf war von der Flugplatzleitung Oberpfaffenhofen, die von den Amerikanern übernommen worden war, und ein eigenes Wohnungsamt unter Führung des Herrn Litz errichtet hatten, zur Unterbringung des in Oberpfaffenhofen beschäftigten Personals reserviert und erhielt laufend von dort Einweisungen, so dass die Bevölkerung damals schon auf etwa 1.000 angewachsen war. Nur geringe Abtransporte rückkehrender Ausländer und Deutscher aus anderen Zonen waren möglich, so dass der Ort dauernd anwuchs.
Im Mai 1946 wurden plötzlich 70 Flüchtlinge am Bahnhof gemeldet, nachdem der Wohnungskommissar Starnberg noch ein paar Stunden vorher versichert hatte, Hechendorf sei für Oberpfaffenhofen reserviert und erhalte keine Flüchtlinge. So blieb nur die Möglichkeit, die Flüchtlinge in Massenquartieren zu legen und zwar in den Unterrichtsraum des Schwimmvereins Wasserfreunde am Wörthsee und in benachbarte ähnliche Unterkunftsmöglichkeiten. Von hier mussten sie in langem, zähen Kampf auf die Häuser verteilt werden, wobei die Hauseinwohner infolge der Überfüllung heftigen Widerstand leisteten. Das Amt des Wohnungskommissars wurde das schwierigste und verhassteste in der Gemeinde. Proteste in Starnberg blieben erfolglos. Dr. Hebel sprach im Kreisrat und erzielte ein allgemeines Misstrauensvotum gegen Herrn Brenninger mit Ausnahme der kommunistischen Stimme, aber bei wiederholten persönlichen Vorstellungen bei Herrn Staatssekretär Jänicke wurde zunächst nichts erreicht.
Ab Mai 1946 begann die Flugplatzleitung Oberpfaffenhofen für amerikanische Fliegerfamilien zwanzig der schönsten Häuser in Hechendorf zu beschlagnahmen. Die Beschlagnahmeaktion zog sich über viele Wochen hin und brachte die Bevölkerung förmlich zur Verzweiflung. In der Nacht brachten die gefährdeten Familien ihre letzte Habe auf Lastwagen fort zur Unterstellung in Scheunen, wo dann vieles gestohlen und zerstört wurde. Durch deutsche Schätzer wurden die beschlagnahmten Möbel zu billigen Friedenspreisen eingeschätzt und dann die Summen ausbezahlt. Meist verweigerten die Betroffenen die Annahme des Geldes. Seitens der Gemeindeverwaltung setzte nun ein zäher Kampf um jedes Haus ein, wobei es nacheinander gelang, die Häuser Fasshauer, Eckl, Schröder Oelschlägl, Dietz, Stärk und andere freizubekommen, worauf so wenig verblieb, dass die Beschlagnahme gänzlich vermieden wurde. Der Bürgermeister war zu dem maßgebenden Offizier des Flugplatzes Major Johnson in ein sehr freundschaftliches Verhältnis gekommen und dieser tat, was in seiner Macht stand, den Ort zu verschonen.
Mitten in diese Beschlagnahme hinein sandte Herr Brenninger eine siebenköpfige Beschlagnahmekommission und anschließend weitere 240 Flüchtlinge. Diesen folgten Angehörige, Eltern und Kinder, die auf dem Wege der Familienzusammenführung aufgenommen werden mussten, so dass neben 500 Ausgebombten jetzt 340 Flüchtlinge im Ort wohnen. Seefeld hat vergleichsweise 70. Die Bevölkerung von Hechendorf ist von 400 auf fast 1400 angewachsen, etwa 150 Personen mitgerechnet, die auf sogenannten blauen Fliegerschein hier wohnen. In endlosen Kämpfen wurde die Verteilung der Flüchtlinge auf die Hauser durchgeführt. Jedes am Seeufer noch so ungeeignete Holzhaus wurde belegt. Die Verhältnisse waren und sind noch heute unhaltbar und können nur durch Neubau oder eine gerechte Verteilung erträglich gestaltet werden. Von außen erhielt die Gemeinde nur Lasten, aber auch nicht die geringste Hilfe. Der Bürgermeister sprach am Rundfunk (Beilage 13), aber auch dieser verzweifelte Hilferuf blieb erfolglos. Die Notwendigkeit zur Hilfe wurde wohl erkannt, aber es geschah nichts. Nicht das geringste Baumaterial und nur verschwindend wenig Haushaltsgeräte konnte bisher geliefert werden. Die Erbitterung der Flüchtlinge äußerte sich in der Schaffung einer eigenen Flüchtlingsgruppe in der Gemeinde, die aber auch die Verhältnisse nicht zu ändern vermochte.
Ein Siedlungsprojekt Beermahd wurde in den Jahren 1946-1947 nach langem Kampf mit den Siedlungsbehörden zum Abschluss gebracht und 29 Bauplätze verkauft. Der ursprüngliche Plan des Bürgermeisters, diese Plätze sofort Personen zu geben, die sogleich mit dem Bau beginnen konnten, wurde mit dem Verdacht der Begünstigung abgelehnt und unter den etwa 150 Bewerbern durch einen Siedlungsausschuss 29 ausgewählt, von denen aber bisher nach fast drei Jahren nur drei praktisch bauen konnten. Die Währungsreform hat die letzten Mittel hierfür verschlungen, und nun müssen entweder zahlreiche Grundstücke zurückgegeben werden, oder das ganze Bauvorhaben bleibt an der Unmöglichkeit stecken, die gemeinsamen Lasten für Straßenbau, Wasser und Lichtanschluss aufzubringen Schließlich wird man mit drei Jahren Zeitverlust wieder zu dem Plan zurückkehren müssen, jene Personen mit Plätzen zu bedenken, die bauen können. Bei völligem Ausbau der Beermahd ergäbe sich eine Ausweitung der Wohnungen für 100 bis 150 Personen, und die unhaltbarsten Zustände könnten gebessert werden.
Trotz der furchtbaren Situation, die die Flüchtlinge in Hechendorf antrafen, hat sich Einleben im Durchschnitt gut vollzogen. Speziell die Sudetendeutschen passen gut zur Stammbevölkerung, sind arbeitsam und anspruchslos, und so wachsen sie schon über die Kinder in die Dorfgemeinschaft ein. Es wurden Kleingärten bereitgestellt, aber immer wurde wegen der ungeheuer großen Zahl der Anteil des Einzelnen entsprechend kleiner, genauso, wie bei den wiederholt durchgeführten Sammlungen.
Schon lange, ehe der Befehl dazu erging, hatte die Gemeinde einen Flüchtlingsobmann aufgestellt, und diesen in den Gemeinderatssitzungen beigezogen. Der derzeitige Obmann ist zugleich Volkschullehrer und dadurch bereits eng mit der gesamten Bevölkerung verwachsen Bei den letzten Wahlen bildete sich zur Vertretung im Kreis die sogenannte Notgemeinschaft der Flüchtlinge. Da sie von der Militärregierung als gesonderte Partei nicht zugelassen waren, arbeitete diese Notgemeinschaft eng mit der CSU zusammen.
Es erscheint auf die Dauer als ein unlösbares Problem, den zahlreichen Ortsfremdem, die heute zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, eine Existenzmöglichkeit zu bieten. Sollte einmal der Flughafen Oberpfaffenhofen aufgelöst werden, so würde die Zahl der Arbeitslosen und Unterstützungsempfänger in untragbarer Weise anwachsen. Heute bedeutet die Fürsorge eine für die Gemeinde unerträgliche Last. Die Fürsorge wird zwar an sich auf Kreisbasis festgesetzt und geregelt, aber praktisch fallen die Lasten immer mehr auf die Gemeinde zurück. Nach Öffnung der französischen Zone und des Landes Württemberg müsste eine Abwanderung von 100 bis 200 Personen angestrebt werden, die möglichst auf der Basis der Freiwilligkeit erfolgen sollte.
Dieses Problem der Nachkriegszeit ist so hässlich wie das Wort. Es hat das deutsche Volk in seinen Tiefen aufgewühlt, das Gefühl von Recht und Gerechtigkeit erschüttert, praktisch alle enttäuscht und eher das Gegenteil erreicht als was bezweckt war. Teils unter dem Druck der Militärregierung, insbesondere in der amerikanischen Zone, setzte ab Juli 1945 bereits die sogenannte Entnazifizierung ein. Gedacht war an die Ausrottung des nazistischen Geistes, der Diktatur, des Militarismus, der Sturheit und Intoleranz, des Rassenhasses und Religionshasses und die Wiedererrichtung der Demokratie. Während die Deutschen bei dem ihnen bekannten Personenkreis von der politischen Zielsetzung und Gesinnung ausgingen, stützten sich die Amerikaner dabei in ihrer völligen Unkenntnis der europäischen Verhältnisse auf die schematische Zugehörigkeit zu nazistischen Verbänden und Organisationen. Die Tatsache, dass viele tatsächlich Belastete untertauchten, und am anderen Ende Deutschlands sich als harmlose Demokraten in allen möglichen Ämter einschlichen, bis sie entlarvt wurden, führte zu einem völligen Misstrauen der Militärregierung gegenüber den deutschen Ratschlägen. Diese stützten sich zunächst auf die entlassenen Gefangenen der Konzentrationslager und auf die Kommunisten, unter denen viele kriminelle Elemente waren, und erlebten dabei schwere Enttäuschungen. Nachdem im Frühjahr 1946 fast ein Drittel aller Deutschen aus ihrer Existenz geworfen worden waren, und sinnlose Wohnungsbeschlagnahmen schon vor der Klärung der Schuld zu wilden Eingriffen in die Besitz- und Wohnungsverhältnisse geführt hatten, wurde besonders von den Betroffenen immer dringender nach dem Reinigungsgesetz verlangt, um wenigstens den Zustand der Rechtlosigkeit zu beseitigen. Im Frühjahr 1946 eröffnete die Spruchkammer Starnberg ihre Tätigkeit und auch die Gemeinden stellten zwei, später einen Beisitzer. Die Kommunisten nahmen eine zwiespältige Haltung ein, gaben einerseits den Gesetzen ihre besondere Härte und lockten gleichzeitig die Gescheiterten in ihre Reihen mit dem Rufe: „Kleiner PG was nun?“. [PG: Parteigenosse]
Wollte man vermeiden, dass die politische Reinigung von vorne herein in einen Wirtschaftskampf umgewertet wurde, mussten sich auch bürgerliche Elemente für die Spruchkammern bereitstellen. In den folgenden Monaten und Jahren hat Deutschland einen nie erlebten Papierkrieg durchgemacht. Vier bis acht Seiten lange Fragebogen mussten bei jedem kleinsten Antrag eingereicht werden, jeder musste durch Bestätigung von Zeugen seine Gesinnung und einwandfreie Haltung erhärten, und so haben namentlich die bekannten Nazigegner oft 100 bis 200 solcher Bestätigungen ausgefertigt, und als Zeugen und Beisitzer ihre Zeit geopfert. In Hechendorf gelang es, verhältnismäßig rasch die einzelnen Fälle zur Behandlung zu bringen. Man hatte im Ort im Dritten Reich „die Kirche beim Dorf gelassen“, und so schlug dieses traurige Problem im Ort nur sehr bescheidene Wellen. Das Richtige wäre gewesen, auf dem Wege ordentlicher Gerichtsverfahren die krassen, kriminellen und Nutznießerfälle und militaristischen Exzesse zu ahnden, die kleinen Mitläufer aber mit einer schnellen summarischen Behandlung dem bürgerlichen Leben wieder zu geben. So haben nur die Rechtsanwälte verdient, die Kleinen maßlos gelitten, die Gewissenlosen vom Schwarzhandel besser gelebt als im normalen Beruf. Sie kehren heute als Märtyrer zurück in ihre alten Stellungen.
Die Lochung der Kennkarte ist einmal der beste Ersatz für die Mitgliedsnummer. Es gab in der Gemeinde Widerstand gegen Wahl- und politische Ausschüsse, die lediglich die erlassenen Gesetze durchführen mussten. Heute ist im Dorf die innerpolitische Kampfstimmung vorüber, hoffentlich auch der nazistische Geist.
Es war Zweck dieser chronistischen Aufzeichnungen, speziell jenen Abschnitt ausführlich zu beschreiben, über den wegen des entstandenen Chaos keine Akten und Zeitungen berichten können. Der folgende Zeitabschnitt verlief in allmählich immer mehr geordneten Bahnen und findet damit von selbst die entsprechenden Unterlagen für die geschichtliche Erinnerung. Es sollte aber auch nachfolgenden Generationen bewusst bleiben, in welche unbeschreibliche Katastrophe unser Vaterland und selbst jedes kleinste Dorf durch die Politik des Nationalsozialismus gestürzt wurde. Viele üben an den Folgen Kritik und haben die Ursachen völlig vergessen.
Von Prof. Dr. Martin Hebel
geb. 17.10.1895, gest. 24.12.1968
wohnhaft in Hechendorf am Pilsensee von 1928 bis 1968.
Professor für Wählervermittlungstechnik und Telegraphie an der TU München
1945-1948 1. Nachkriegsbürgermeister in Hechendorf/Güntering
Die Aufzeichnungen von Dr. Martin Hebel wurden unverändert übernommen (2005 durch Arno Berleb, 2018 von Stephan Kruip)
Von 2016 bis April 2024 durfte ich im Deutschen Ethikrat mitwirken. Neben der Corna-Pandemie mit all ihren ethisch relevanten Problemen (z.B. Impf-Reihenfolge und besondere Regeln für Geimpfte?) haben wir viele Themen von Genome-Editing (Keimbahntherapie) und Menschenwürde, Arzneimittelpreise, Organspende, assistierter Suizid, Nutzung von Daten aus der Gesundheitsakte für die Forschung, Probleme von Menschen mit seltenen Erkrankungen bis hin zur Klimagerechtigkeit behandelt. Zum Weiterlesen: Infobrief des Deutschen Ethikrats.
Mukoviszidose im Embryo reparieren? Mit sog. Genscheren wie Crispr-Cas9 können auch die Gene der menschlichen Keimbahn - z.B. in Samenzellen, Eizellen oder Embryonen - verändert werden. Aber darf der Mensch sich selbst verändern? Lesen Sie hier weiter...
Menschen mit seltenen Erkrankungen schützen: Deutscher Ethikrat fordert gerechtere Versorgung. In seiner im November 2018 veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung fordert der Deutsche Ethikrat eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz vor unzureichender Versorgung der Betroffenen. Lesen Sie hier weiter...
Widerspruchslösung bei der Organspende? Rund 10.000 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan. Im September 2018 hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Debatte zur Widerspruchslösung angestoßen. Zu den Hintergründen lesen Sie hier.
FAQ zur Corona-Pandemie: Mein Widerspruch gegen Falschmeldungen, Fake-News, Verschwörungstheorien - statt dessen vertrauenswürdige Quellen. Weiterlesen...
Was ist ein fairer Preis für Kaftrio? Der neue Modulator kostet ca. 275.000 € pro Jahr, das entspricht pro Monat neuen Mittelklasse-PKW. Was wäre ein fairer Preis für dieses hochpotente Medikament? Lesen Sie hier den gesamten Artikel.
Weitergabe gebrauchter Arzneimittel: Risiken und rechtlicher Graubereich. Neulich in einer CF-Facebook-Gruppe: „Wir haben 2x Orkambi über und wollten fragen, of es jemand geschenkt haben möchte?“ Was Sie über die Weitergabe von gebrauchten Medikamenten wissen müssen. Weiterlesen...
Das Ziel der Darmspiegelung ist es, Polypen (d.h. Wucherungen, die krebsartig werden können) zu identifizieren und zu entfernen. Für Mukoviszidose-Patienten ist eine gute Vorbereitung für eine effektive Koloskopie unerlässlich. Weiterlesen...
Stephan´s Großvater Dr. Martin Hebel: Er war Bürgermeister in Hechendorf nach dem Zusammenbruch 1945. Lesen Sie hier seine Aufzeichnungen aus einer schweren Zeit
Kein Dammbruch bei der PID: Ein Bericht des Deutschen Bundestages war Anlass, Bilanz zu ziehen: Wie hat sich das PID-Gesetz ausgewirkt?
Große Ambulanzen bevorzugt? Immer wieder wird die These vertreten, große Ambulanzen seien den kleineren in Behandlungsqualität und Outcome überlegen. Stimmt das denn?
Ethik und Mukoviszidose: PID, Screening, Xenotransplantation, Pflicht der Eltern zur Therapietreue
"Das Problem ist, wir suchen jemanden, mit dem wir zusammen alt werden, während das Geheimnis darin besteht, jemanden zu finden, mit dem man ein Kind bleiben kann!"
Charles Bukowski