Widerspruchslösung bei der Organspende?

Gesundheitsminister Jens Spahn stieß 2018 Debatte an

OrganspendeausweisRund 10.000 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan. Dem standen im vergangenen Jahr nur rund 800 Spender gegenüber. Regelmäßig stehen auch Mukoviszidose-Patienten auf der Warteliste. Um zu mehr Organentnahmen zu kommen, soll durch ein Gesetz die Organentnahme besser vergütet werden, und weitere Verbesserungen die Organspende fördern. Im September 2018 hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn außerdem eine Debatte zur Widerspruchslösung angestoßen, weil Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung der Organspende offen gegenübersteht, aber nur ein geringerer Teil tatsächlich einen Organspendeausweis besitzt.

Wie ist die Einwilligung zur Organspende bisher geregelt?

Bisher dürfen nach Transplantationsgesetz in Deutschland im Falle des Hirntods nur dann Organe entnommen werden, wenn der Spender dem selbst zugestimmt hat oder seine nächsten Familienangehörigen nach seinem mutmaßlichen Willen zustimmen (erweiterte Zustimmungslösung). Seit 2012 werden die Versicherten von ihren Krankenkassen regelmäßig aufgefordert, in einem Organspendeausweis ihre Entscheidung zur Organspende zu dokumentieren (sog. "Entscheidungsregelung"). Bei der Widerspruchslösung würde im Gegensatz dazu jeder Mensch automatisch als Organspender gelten – außer er hat dem zu Lebzeiten widersprochen.

Wird durch die Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden steigen?

Ein Blick auf andere Länder dämpft diese Erwartung: Während in einigen Ländern die Spenderrate unter der Widerspruchslösung anstieg (z.B. Belgien), veränderte sich die Rate in anderen Ländern nicht (z.B. Schweden und Singapur) oder sank sogar (z.B. Brasilien, Dänemark, Lettland)1. In Australien und USA erhöhte sich die Spenderrate sogar durch Einführung der Zustimmungslösung. Andererseits gibt es Maßnahmen, die die Spenderrate nachweislich positiv beeinflussen, z.B. eine gute Aufklärung der Bevölkerung, eine Optimierung der Prozesse und Logistik im Krankenhaus, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit der Strukturen und die Schulung des medizinischen Personals.

Ethische Bedenken zur Widerspruchslösung

Das Selbstbestimmungsrecht schützt die Persönlichkeit auch über den Zeitpunkt des Todes hinaus. Die Widerspruchslösung greift in dieses Selbstbestimmungsrecht gravierend ein, denn bei der Widerspruchslösung gilt das Schweigen, d.h. der fehlende Widerspruch gegen eine Organentnahme als Einwilligung. Man müsste natürlich sicherstellen, dass alle Bevölkerungskreise regelmäßig informiert werden und dass sie diese Regelung auch verstanden haben (Informationspflicht). Es bleibt aber das Problem, dass ein Schweigen evtl. einfach eine fehlende Willensäußerung bedeuten kann, und die Organentnahme würde dann in diesem Fall ohne Zustimmung des Verstorbenen erfolgen! Ein Ausweg wäre, dass der Staat seine Bürger verpflichtet, sich zu entscheiden (Äußerungspflicht). Dann wäre aber die Auseinandersetzung mit dem Thema Organspende nicht mehr freiwillig. Und soll man eine Nichtäußerung dann bestrafen?

Der Nationale Ethikrat (der Vorläufer des Deutschen Ethikrats) hat sich 2007 für einen Kompromiss ausgesprochen: Der Staat würde verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Bürger in einem geregelten Verfahren (zum Beispiel bei der Ausstellung einer Gesundheitskarte oder beim Erwerb des Führerscheins) zu einer persönlichen Erklärung darüber aufgefordert werden, ob sie zur Organspende bereit sind2. Eine auch dann nicht getroffene Entscheidung als Zustimmung zu werten, fand der Nationale Ethikrat angesichts der möglichen Lebensrettung hinnehmbar.

Stephan Kruip (Mitglied im Deutschen Ethikrat),
Der Artikel erschien zuerst in muko.info Ausgabe 4/2018 

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P.S. Am 12.12.2018 hat der Deutsche Ethikrat ein öffentliches „Forum Bioethik“ veranstaltet zum Thema „Pro + Contra: Widerspruchsregelung bei der Organspende“, Vorträge und Diskussion sind hier dokumentiert. Frau Prof. Claudia Wiesemann kommt darin zu folgendem Schluss: "Es gibt kein Spendeproblem. Wir sind als Bevölkerung nicht so schlecht wie unser Ruf. Aber es gibt ein Melde- und ein Organisationsproblem der Entnahmekrankenhäuser. Dieses Problem beruht zum großen Teil auf ethischen Binnenkonflikten im Krankenhaus, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter austragen müssen, die nicht angemessen gewürdigt und auch gar nicht erst angesprochen werden. Das heißt, es werden auch keine praktischen Lösungen bereitgestellt, wie man im Krankenhaus unter den Bedingungen der Krankenhaussituation mit diesen eigenen moralischen Überlegungen zurande kommen kann. Diese offene Diskussion ist dringend vonnöten. Ich habe die Sorge, dass die Diskussion über die Widerspruchsregelung in der Lage ist, diese Debatte zu verschleiern, weil sie ablenkt und das Problem falsch verortet."

1 "Ethische Erwägungen zur Widerspruchslösung im Bereich der Organspende" Stellungnahme des Schweizer Ethikkomission Nr. 19/2012 Bern, Oktober 2012

2 Nationaler Ethikrat: Die Zahl der Organspenden erhöhen – Zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland. Stellungnahme. 24. April 2007