BGH: Präimplantations-diagnostik (PID) zur Vermeidung schwerer genetischer Schäden nach geltendem Recht ist nicht strafbar.
Am 6. Juli 2010 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig, dass eine in Zusammenhang mit künstlicher Befruchtung beabsichtigte PID mit Untersuchung der entnommenen Zellen auf schwere genetische Schäden hin nach dem Embryoneschutzgesetz (ESchG) nicht strafbar sei. Hintergrund dieser Entscheidung war eine Selbstanzeige eines Berliner Reproduktionsmediziners aus dem Jahre 2005, der damit die aus seiner Sicht unklare Rechtslage, ob die PID mit dem ESchG vereinbar ist, geklärt wissen wollte (1). Bislang waren die Juristen mehrheitlich der Auffassung, dass §2(1) des ESchG die PID verbietet: „Wer einen extrakorporal erzeugten Embryo zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Denn: Wenn dem Embryo eine Zelle entnommen wird, um diese auf genetische Prädispositionen zu screenen, dann würde dieser Embryo im Falle einer diagnostizierten Genveränderung „verworfen“ und damit ein Zweck verfolgt, der eben nicht seiner Erhaltung, sondern einem nach §1 (2) „anderen Zweck“, nämlich der Verwerfung oder Selektion vermeintlich „erbkranken Lebens“, diene (1).
Das Gericht sah das nun in seinem Urteil anders (nachzulesen in der Entscheidungsdatenbank unter www.bundesgerichtshof.de mit Az „5 StR 386/09“). Der BGH entschied dabei nicht, ob PID zulässig sein sollte oder nicht, sondern lediglich, ob die vorhandenen Gesetze sie verbieten oder nicht. Da es die PID noch gar nicht gab, als das ESchG verabschiedet wurde, befasste sich der BGH auch mit den damaligen Begründungen für das Gesetz und kam zu dem Schluss, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass der Gesetzgeber die „zur Verminderung von gravierenden Risiken geeignete PID an pluripotenten Zellen“ verboten hätte, wenn sie seinerzeit schon zur Verfügung gestanden hätte.
Zur Beachtung des §1 ESchG reiche es aus, dass im Bewusstsein des Arztes das Ziel der Schwangerschaft dominiert. Der negative Gentest sei lediglich „objektive Bedingung für die Übertragung“ des Embryos und damit ein „unselbständiges Zwischenziel“. Dass der Arzt zur Erreichung der Schwangerschaft die Vorschrift des §2 nicht für jeden einzelnen Embryo einhält, sei deshalb nicht strafbar. Da die PID im ESchG also nicht ausdrücklich verboten sei und das Gendiagnostikgesetz von 2009 die Problematik ausdrücklich ausklammere, habe der Gesetzgeber es versäumt, ein ausdrückliches Verbot der PID auszusprechen.
Das Gericht mahnt deshalb auch eine eindeutige Regelung durch die Politik an: Soll es erlaubt sein, Menschen im Status von Embryonen nach ihren Genen zu selektieren? Und falls ja: Was sind gravierende Risiken, bzw. welche Erkrankungen gehören zu den „schweren genetischen Schäden“? Ist eine solche Festlegung überhaupt möglich und wer darf darüber entscheiden? Zu beneiden sind die Volksvertreter um diese Aufgabe nicht.
Stephan Kruip
Quellenangabe: Die beiden mit (1) markierten Sätze basieren auf einem guten Artikel zum BGH-Urteil von Uwe-Jürgen Ness, www.uweness.eu